Kosmogonische Bedeutung Dao und De
“Alles ist aus dem Dao geboren.” (“道生之”) heißt es bei Laozi.
Die Erzählung von der Entstehung des Universums, Kosmogonie, bildet den Anfang des philosophischen und des religiös-mythologischen Denkens.
„Befruchtet vom Wind legte die Urnacht ihr silbernes Ei in den Riesenschoß der Dunkelheit...“{1} oder „Im Anfang war das Wort, […] Alles ist durch das Wort geworden, […] In ihm war das Leben, [...]“{2} – so lauten zwei abendländisch-vorderasiatische Versionen der Weltentstehung.
Im Zentrum der kosmogonischen Erzählung stehen bei Laozi und den anderen daoistischen Klassikern die zwei Begriffe Dao und De. Die zwei großen Teile des Buches Dao De Jing (bzw. De Dao Jing) widmen sich jeweils einem der beiden Begriffe. Dieselben Bezeichnungen werden zwar auch von anderen Philosophen in der „Zeit der 100 Schulen“ und in der Han-Zeit häufig verwendet, aber der Daoismus prägte ein ganz eigenständiges ontologisches Verhältnis zum Dao und zum De aus und bestimmte mit ihrer Hilfe die Ordnung der Dinge auf unverwechselbare Weise. Das Dao ist weder ein transzendenter Schöpfergott im christlichen Sinne noch wird es als ein gestalthaftes mythologisches Urwesen verstanden.
Was bedeutet das Schriftzeichen „Dao“, wie lässt sich das Wort übersetzen? In den modernen Lexika findet man zwei Hauptbedeutungen: a) Dao = Weg, Lauf, methodischer Gang bzw. gehen, leiten; und b) Dao = sagen, nennen, bezeichnen. Die Bedeutung a) entspricht in etwa dem altgriechischen Begriff odos, „Weg“, welcher vorsokratische Wurzeln hat und je nach Kontext sowohl 'Weg der Erkenntnis' als auch 'Lebensweise/ Lebensgang' bedeuten konnte. Auch an den philosophischen Begriff der 'Methode' (von Platon zusammengesetzt aus gr. meta und odos) könnte man denken, d.h. an ein durch das Prinzip des Dao geführtes und damit zielgerichtetes Wegbewusstsein. Bedeutung b) lässt sich in Beziehung zum griechischen logos (bzw. legein) bringen, im Sinn von Gedankengang, Wort, Definition, Urteil vor dem vorausgesetzten Hintergrund einer 'vernünftigen' Verfasstheit der Welt.
In der christlichen Kirchengeschichte wurde der griechische Logos-Begriff mit der Eingangspassage des oben zitierten Johannesevangeliums („Im Anfang war das Wort“) enggeführt. Als in Zusammenarbeit mit den christlichen Missionaren Teile der Bibel ins Chinesische übersetzt wurden, verwendete man den Begriff Dao zur Übersetzung von „Wort“, so dass es im chinesischen Johannesevangelium nun sinngemäß hieß: „Im Anfang war das Dao.“ In diesen Zusammenhängen dachte auch der protestantische deutsche Theologe und Missionar Richard Wilhelm, als er seine Übersetzung des Laozi (sowie des I Ging) anfertigte: Dao wird bei ihm übersetzt mit „Sinn“, d.h. immer noch als 'Wort', verstanden als von Gott verfügtes Aufgehen der Natur im Schöpfungsplan{3}. Trotz dieser offenkundigen Übertragung und Rückübertragung von christlich-griechischen Grundbegriffen auf die chinesischen Texte ist die Übersetzung Wilhelms die bis heute meistrezipierte deutsche Übersetzung. Immerhin war es ihm klar, dass Dao nicht mit der transzendenten väterlichen Gottheit der Christen direkt gleichgesetzt werden konnte. Verglichen mit Übersetzungen nach der Formel Dao = Gott konnte das immerhin als Fortschritt gewertet werden.
Es kommt immer noch zu vielfältigen Problemen bei der Übersetzung der Grundbegriffe der chinesischen Philosophie in europäische Sprachen. Dafür spricht auch die Flut von Laozi-Übersetzungen, die nicht abzureißen scheint. Jede dieser Übersetzungen enthält notwendiger Weise eine Neu- und Uminterpretation der Wortbedeutungen im Text. Der wohl umstrittenste, da zentralste Term ist der des Dao. Er eignet sich nicht als Begriff für ein Konversationslexikon. Die philosophischen Schulen Chinas waren sich immer darüber uneinig, was das Dao sei. Das Dao wurde diskutiert, andere Deutungen des Dao wurden argumentativ hinterfragt. In szenischen Schilderungen, Sinnsprüchen und Kommentaren zu den Klassikern versuchte man auf vielfältigste Weise, die Bedeutung des Dao zu fassen und nahe zu bringen. Darin zeigt sich nicht nur das Vertrauen in den Begriff, sondern auch die große Schwierigkeit, die Bedeutung des Dao in der Sprache zu fassen. Bereits der erste Vers des Dao De Jing bringt den Ausdruck „Dao“ dreimal in Folge, jeweils in anderer Bedeutung. Auch für einen chinesischen Leser erklärt sich der zugrunde liegende Gedanke des Laozi nicht von selbst; er muss darüber nachdenken, meditieren. Viele Laozi-Kommentare aus der Philosophiegeschichte Chinas, die, wie gesagt, keinesfalls nur von Daoisten verfasst wurden, geben davon Zeugnis.
Die daoistischen Erkenntnistheorien, sowohl in ihrer religiösen wie in ihrer philosophischen Ausrichtung, gehen von vorne herein davon aus, dass es sich nicht um einen restlos rationalisierbaren und sprachlich auseinander nehmbaren Begriff handeln kann: Der Terminus und die Methode des Dao richten sich im Kern an das „vorgeburtliche“ intuitive Wissen, welches im Menschen angelegt ist. Logisches Kalkül und semantische Analyse dagegen können nur Teilaspekte des Dao erfassen. Logos und odos vereinnahmen den Ausdruck Dao in westlichen Traditionslinien. Das ist zwar nicht generell unrichtig und erfasst auch einiges am Gemeinten, jedoch wird dann allzu leicht übersehen, dass das Dao von den Daoisten in erster Linie nicht erklärt, sondern angerufen wird – nicht als transzendenter Gott, sondern als Immanenz des Heiligen in der Welt.
De
Alles ist aus dem Dao geboren „und Alles wird ernährt durch das De“ (“德畜之”), so geht das eingangs von uns angeführte Laozi-Zitat weiter. In den kosmogonischen Erzählungen der Menschheit vereinigt sich das Prinzip der Welterzeugung mit dem der Welterhaltung: Die Schöpfung wird bewahrt im ausgesprochenen Wort Gottes oder im von Dunkelheit umfangenen Ei. Bei Laozi bedeutet die Bewahrung der Natur die spirituelle „Ernährung“ der lebendigen Kreaturen.
Schlägt man chinesisch-deutsche Lexika auf, so sieht man, dass „De“ gemeinhin mit „Tugend“ übersetzt wird. Aus konfuzianistischer Sicht ist diese Standardübersetzung unproblematisch; und sie ist auch im daoistischen Wortverständnis nicht unrichtig. Allerdings läßt unser Laozi-Zitat durchblicken, dass eine Verengung des De auf den Kontext der konfuzianistisch geprägten Sittenlehre nicht den Kern der Sache trifft.
Doch was überhaupt versteht man in Europa unter 'Tugend'? Das deutsche Wort hat, philosophiegeschichtlich betrachtet, seine Ursprünge im lateinischen „virtus“ (bzw. auch im griechischen „arete“). Ethisch gesehen stand der europäische virtus-Begriff in engem Zusammenhang mit dem sittlich Guten, d.h. mit einer Haltung bzw. Einstellung des Einzelnen, die moralisch begründet werden konnte. Daneben enthielt der klassische Begriff aber auch den Sinn von „Tauglichkeit“; d.h. er bezog sich auf innere Eigenschaften (oder auch von außen zukommende Einflüsse), welche dem Menschen die Kraft verliehen, sein Trachten und Streben auf für ihn selbst oder Andere förderliche Handlungen hin auszurichten. Im christlichen Mittelalter entwickelten sich aus dem antiken virtus-Begriff die vier 'Kardinaltugenden' (Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung) und im weiteren die sieben 'Himmlischen Tugenden' (Demut, Mildtätigkeit, Keuschheit, Geduld, Mäßigung, Wohlwollen und Fleiß). Den sieben himmlischen Tugenden wurden durch Papst Gregor den Großen (geb. um 540, gest. 604 n. Chr.) die sieben Untugenden bzw. Todsünden gegenübergestellt (Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid, Faulheit).
Auch in China wurden schulübergreifend Listen der Tugenden erstellt, zumeist in Fünfzahl: Mitmenschlichkeit, Aufrichtigkeit, Höflichkeit, Intelligenz, Wahrhaftigkeit{4}. Diese sogenannten „Fünf De“ haben durchaus Ähnlichkeiten mit den christlichen Tugenden, auch wenn ihre Anzahl nicht der christlichen Auflistung entspricht. Dabei wurden aber im Gegensatz zur christlichen Sündentheologie den Tugenden keine eigens benannten Untugenden gegenübergestellt, sondern lediglich auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein der fünf De abgehoben. Der Untugendhafte ist in China also eher derjenige, welcher eine oder mehrere der fünf De nur unzureichend besitzt bzw. derjenige, welcher zwischen den fünf De keine Ausgewogenheit herstellen kann oder will. Etwas pauschalisierend könnte man auch sagen: In China betrachtet man denjenigen als bösartig, der von der natürlichen Tugend verlassen wurde; in Europa denjenigen, der einer der Untugenden anheim fällt. Vielleicht ist es sinnvoll, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Diskussion des De als Tugend kein Privileg der konfuzianistischen Sittenlehrer in China war. In vielen deutschsprachigen Darstellungen der chinesischen Philosophie wird noch immer behauptet, die Daoisten hätten sich – als radikale Gegenspieler des konfuzianistischen Sittenkodex' – von den sozialen Tugenden ganz abgewendet und eine Lehre der Amoralität und Abwendung von ihren Mitmenschen vertreten. Das ist nicht richtig. Der innere Weg der daoistischen Meditation ist kein Biedermeier; er führt den Einzelnen nicht in die Isolation hinein, sondern etabliert die Gemeinschaft auf einem höheren spirituellen und gesellschaftlichen Niveau.
So weit in aller Kürze zu den fünf Tugenden Chinas (Weitere Ausführungen zu diesem ethischen Aspekt des De finden Sie u.a. in der Sektion Mensch & Selbstheilung sowie in den von uns ins Deutsche übertragenen Schriften Chunjin Xiong's.).
Kehren wir hier noch einmal zurück zu der eingangs angedeuteten kosmogonisch-kosmologischen Dimension des De bei Laozi. An einigen Stellen im De Dao Jing (wie auch in daoistischen Kommentaren aus späterer Zeit) wird das De als „das Eine“ (d.h. als spezifischer Begriff des Allgemeinen) oder auch als „die Eins“ (bzw. als Grundzahlwort „eins“) kenntlich:
„Aus dem Dao stieg das Eine [De] auf. Aus dem Einen entstand die Zwei. Aus Zweien ging die Drei hervor und brachte mit sich die 10.000 Dinge.“
Hier schimmert unter der kosmogonischen/ welterhaltenden Bedeutung eine systembildende und zahlenlogische Funktion durch. De wird beschrieben als die Einheit der Vielheit der 10.000 Dinge und die organische Einheit, welche das Ganze der Natur konstituiert. Wir im Westen bringen in unserem Wort „Universum“ ein ähnliches Verständnis zum Ausdruck. Wieder lassen sich reichhaltige Anknüpfungspunkte zur europäischen Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte festmachen. Einige wollen wir hier nennen: Die Pythagoreer gingen (ungefähr zeitgleich mit Laozi) davon aus, dass die biologische Welt und die Zahlen im Ausgang vom Einen entstanden waren. Im Begriff des Einen sah auch die vorsokratische Philosophie der Eleaten zugleich das einzige Individuum und das unteilbare Ganze repräsentiert{5}. Der frühchristliche Denker Tertullian (geb. um 150, gest. um 220 n. Chr.) unterschied die numerische Einheit („unio“) von der organischen Einheit der Dinge („unitas“). Der Kirchenvater Augustinus (geb. 354, gest. 430 n. Chr.) vertrat die Auffassung, die Suche nach dem „unum“ sei der Angelpunkt des Denkens überhaupt{6}. Damaskios (geb. um 462, gest. um 538 n. Chr.), der letzte Leiter der neuplatonischen Schule von Athen, lehrte das Unsagbare, das Eine-Alle und das Geeinigte als die drei Grundbegriffe seiner Philosophie{7}. Allerdings geriet er dadurch mit der expandierenden christlichen Lehre im Oströmischen Kaiserreich in Konflikt und musste nach Persien flüchten. Dennoch: Die Verbindung von dem Einen und dem Guten war (und ist) einer der Urgedanken der abendländischen Philosophie. Die Seele sammelt sich, vereinheitlicht sich und bringt so das Gut des Einzelnen im inneren Einklang mit sich selbst zum Vorschein. Und überdies baut noch die moderne Mengenlehre des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts als Grundlagenwissenschaft der Mathematik auf dem in zweifacher Hinsicht maßgeblichen Begriff der Einheit auf{8}: Der Begriff des Einen bedeutet sowohl die Selbstidentität des einzelnen Elements als auch „die Menge aller Mengen“.
All diese west-östlichen Anknüpfungspunkte schaffen eine Vielzahl von Möglichkeiten, die klassische chinesische Rede vom De in die Sprache der abendländischen Philosophie zu übersetzen. Auch wir, die Laozi-Dao-Akademie, haben in unserer Laozi-Übertragung versucht, den Begriff des De an den westlichen Begriff vom Einen heranzuführen, um das Fremde unserem Verständnis näher zu bringen. Westliche Leser (und Übersetzer) sollten sich allerdings klar machen, dass womöglich in China nicht dasselbe gedacht wird wie bei uns, wenn man vom Einen redet. Denn Ziel- und Angelpunkt war bei uns zumindest noch bis zu Fichte, Schelling und Hegel (die auch 'das Eine' bzw. 'die Einheit' ins Zentrum ihrer Philosophie stellten) „der eine Gott“ oder dessen Negation, d.h. Abwendung von der christlichen Orthodoxie des einen Gottes. Die Vielzahl von Möglichkeiten, sich interkulturell auf sprachlicher Ebene zu verständigen, beinhaltet auch eine Vielzahl möglicher Mißverständnisse. Über einhundert Laozi-Übersetzungen, teilweise von ganz divergenter inhaltlicher und formaler Gestalt, gibt es bis heute im Deutschen. Das spricht wortwörtlich Bände. Ist es wirklich so, wie einige moderne Linguisten behaupten, dass die Chinesen ganz anders denken als wir? Entspricht es den Tatsachen, wie einige westliche Philosophen und Sinologen behaupten, dass sich in China das Verhältnis von Subjekt und Welt vollkommen anders darstellt als im Westen? Bedeuten denn Grundbegriffe wie „das Eine“ oder „das Ganze“ für uns etwas vollkommen Anderes als in China, und pflegt man dort eine ganz andere Logik als bei uns? Wir können daran trotz aller notwendigen Skepsis gegenüber dem gleichmachenden Drang der Worte nicht glauben.
Chunjin Xiong legt in seinen Schriften dar, dass es nicht der Dao-Begriff ist, welcher sich im Zahlwort „eins“ repräsentieren lässt, sondern vielmehr der Begriff des De. Dem Dao selbst entspricht dagegen die Zahl „0“, die schon für das entstehende Dezimalsystem von grundlegender Bedeutung war {9}. Das chinesische Dezimalsystem aus der Shang-Zeit, welches später bekanntlich auch nach Europa importiert wurde, benutzt nur zehn Zeichen (von 0 bis 9) zur Darstellung aller möglichen Zahlen. Eben darin lag sein Vorteil gegenüber den etwa zeitgleich entstandenen numerischen Systemen der babylonischen und ägyptischen Hochkulturen{10}.
Im Zusammenhang seiner Untersuchungen zum Zahlensystem bezeichnete Aristoteles (geb. 384, gest. 322 v. Chr.) das Zahlwort „eins“ als das Maß bzw. das Prinzip der anderen Zahlen (d.h. die anderen Zahlen werden durch die Eins gemessen){11}. Man nennt dieses mathematische Prinzip auch das Prinzip der 'Homogenität'. Nach Aristoteles widerspricht die Homogenität der Zahlen der platonischen Gleichsetzung von Zahlen und Ideen, da, wenn bei Erreichen der nächstfolgenden Zahl jeweils eine neue Idee zum Tragen käme, die Zusammenzählbarkeit der Zahlen von Grund auf in Frage gestellt sei. Im Unterschied zu Aristoteles, dessen Theorie maßgeblich für die Quantifizierungsverfahren der europäischen Wissenschaften wurde, bezeichnen für Laozi das Eine und das Sein gerade nicht ein und dieselbe Sache; ihre Begriffe haben gerade nicht denselben Umfang und „Eines sein“ ist bei Laozi nicht dasselbe wie „eine partikuläre Sache sein“.
Dieser wesentliche Unterschied zwischen der aristotelischen und der originären daoistischen Theoriebildung führt noch heute zu tiefen Missverständnissen zwischen westlicher und östlicher Philosophie. Der tiefere Grund für die Komplikation ist das wesentlich andere Verhältnis des daoistischen (und in ähnlicher Weise des buddhistischen) Denkens zum 'Nicht-Sein' bzw. der „0“ bzw. der 'Leere'. Die erörterte abendländische Bestimmung des Einen – als Einheit des Ganzen und als Identität des Elements mit sich selbst – reicht nach Ansicht des ursprünglichen Daoismus nicht hin, um den Menschen in ein adäquates Verhältnis zum Nichts zu setzen. Denn De verstanden als 'das Ganze' umfasst beides, das Sein wie das Nicht-Sein. Wir sehen im Tai-Ji-Symbol beide, die schwarze Yin-Seite und die weiße Yang-Seite, von der Kreislinie umschlossen. Auf der s-förmigen Grenzlinie von Sein und Nicht-Sein bewegt sich die Erkenntnis des Menschen; aus der Mitte zwischen der Seiendheit (Yang/ weiß) und der Leere des Nichts (Yin/ schwarz) entstehen die 10.000 Dinge. Nicht nur in der Sprachmagie des De Dao Jing, sondern auch in anderen daoistischen Quellen werden die Vorgänge der Sonderung und Vereinigung von Sein und Nichts immer aufs Neue ausgeleuchtet:
„Aus der Sonderung von Nichts und Etwas entstehen alle Dinge und mit ihnen die Gestalten und Namen.“
(Huang Di Si Jing, 黄帝四经)
„Wenn Yin-Essenz und Yang-Essenz sich vereinigen, entstehen die 10.000 Dinge.“
(Yi. Xi-Ci, 易·系辞)
{1} Karl Kerényi, . Die Mythologie der Griechen. Band I: Die Götter- und Menschheitsgeschichten, S. 20; DTV, München 1966.
{2} Das Evangelium nach Johannes, Der Prolog: 1,1-5; Einheitsübersetzung, Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart 1980
{3} Vgl. zum Zusammenhang der Übersetzungsproblematik von Laozi's Dao-Begriff: Günter Wohlfart, Dao – Weg ohne Weg. Konjekturen zur Übersetzung der Anfangspassage in Kapitel 1 des Daodejing; in: Der Philosophische Daoismus, edition chōra, Köln 2001.
{4} Zu unserer Übersetzung der Fünf De in daoistischer Ausdeutung finden Sie weitere Informationen in der Sektion Mensch & Selbstheilung.
{5} Vgl. hierzu Platons Kritik an den Eleaten im zweiten Teil seines Parmenides.
{6} Augustinus von Hippo, De ordine II, 17, nn. 42-48. MPL 32, 1017; siehe Kurt Flasch in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 2, Art. Das Eine; Hg. Joachim Ritter, Karlfried Gründer und Gottfried Gabriel, Schwabe Verlag Basel 1971-2007.
{7} Siehe hierzu die Ausführungen Pierre Hadot's ebenda, S. 366.
{8} Vgl. zur gemeinsamen zahlentheoretischen Grundlage von Mathematik und Philosophie Bertrand Russell, Einführung in die mathematische Philosophie, Hg. Johannes Lenhard, Michael Otte; Meiner Hamburg 2006.
{9} Angemerkt sei, dass viele aristotelisch oder konfuzianistisch geprägte Darstellungen des Daoismus das Dao mit der „1“ identifizieren. Die Gleichsetzung des Dao mit der „0“ bzw. mit dem „Nichts“ (was im Übrigen nicht ganz dasselbe ist) bezeichnen z.B. Lutz Geldsetzer und Han-ding Hong als „nihilistische“ Fehldeutung von Laozi. Siehe Dies., Chinesische Philosophie. Eine Einführung, Reclam 2008, S. 213.
{10} Siehe Joseph Needham, Science and Civilization in China. Mathematics and the Sciences of the Heavens and the Earth; Cambridge University Press 1959.
{11} Siehe: Aristoteles, Metaphysik, 1088a6.
-d.b.-